Dr. Wolfgang
Wegener (FWG) zur ersten Verurteilung in Deutschland wegen Abgeordnetenbestechung in Neuruppin (mit jeweils
aktualisiertem Sachstand)
Stimmenkauf mit Vertrag
Am Montag, den 2. 4. 2007 wurde ein Abgeordneter des Stadtrates in
Neuruppin (33 000 Einwohner) vom dortigen Landgericht zu einer auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von neun Monaten wegen
Abgeordnetenbestechlichkeit verurteilt und damit erstmalig der entsprechende § 108 e des Strafgesetzbuches (StGB)
angewandt (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Nachdem es bis 1994 in Deutschland straffrei war, Abgeordnete zu bestechen bzw. sich
als Abgeordneter bestechen zu lassen, sieht der §108 seitdem vor, dass derjenige, der "es unternimmt, für eine Wahl
oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder
Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen", mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft wird. Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht wegen einer derartigen
Straftat die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen
oder zu stimmen, aberkennen.
Das Urteil ist deswegen von Bedeutung, weil nach vorherrschender Rechtsauffassung
der § 108 e StGB derart enggefasst ist, dass er wohl niemals angewendet werden würde. Dankeschön-Spenden nach der
Abstimmung, Überweisungen an den Ehegatten des Abgeordneten oder Stimmenkauf für die entscheidenden Fraktionssitzungen
der Mehrheitsfraktion (die die Entscheidung in der Vertretungskörperschaft in der Praxis antizipieren) sind z. B. nach wie vor straffrei,
vor allem aber setzt der "Kauf" einer Stimme, der selbstverständlich bewiesen werden muss, in der Regel das Vorliegen eines ordentlichen
schriftlichen Kaufvertrages voraus, der einen klaren Zusammenhang zwischen einem Abstimmverhalten und einem materiellen Vorteil
herstellt; ein derartiger Vertrag müsste zudem auch noch zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft gelangen, was eher die Ausnahme
sein dürfte. Laut Dietmar Stehr vom Ruppiner Anzeiger ("Einer ist immer der Erste") war dies
hier der Fall: In einem eigens aufgesetzten Darlehensvertrag war unter Ziffer eins als Bedingung festgehalten, dass der Abgeordnete
von einer Investitionsgesellschaft ein Darlehen von 100 000 Euro erhält, wenn der zuständige Haupt- und Finanzausschuss der
Stadt einer Ausfallbürgschaft über 13,7 Millionen Euro für den Bau des Seehotels Fontane zustimmt - die Auszahlung
dieses Darlehens war vorgesehen, "sobald" diese Ausfallbürgschaft Bestandskraft habe.Dieser Vertrag wurde offensichtlich
im Zuge einer Durchsuchung bei einem anderen Beschuldigten als Zufallsfund entdeckt.
Defizite bei Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung
Dieser skurrile Einzelfall zeigt aus Sicht der FWG
nicht das Funktionieren des § 108 e auf, sondern macht vielmehr die Defizite bei der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung in
Deutschland überdeutlich. So gibt es in Deutschland neben den 614 Mitgliedern des deutschen Bundestages (Quelle: Bundestag) und den
1841 Mitgliedern der Landtage (Quelle: Wikipedia) immerhin rund 205 000 Gemeindevertreter in den Städten und Gemeinden (ohne Ortsräte)
und über 19 000 Kreistagsabgeordnete (Quelle: DStGB 2002), die in
ihrer täglichen Arbeit regelmäßig mit teilweise erheblichen privaten
Interessen konfrontiert werden. Gleichwohl ist von diesen aus der Mitte der Bevölkerung gewählten 226 000 Abgeordneten in den 13 Jahren
seit Einführung des § 108 e nur ein Einziger wegen Abgeordnetenbestechlichkeit verurteilt worden, und dies noch nicht einmal rechtskräftig.
Um dies einordnen zu können, müsste man einen Vergleich mit Ländern anstellen, in denen Abgeordnetenbestechung tatsächlich
nennenswert strafbar ist. Immerhin darf aus der Kriminalstatistik des BKA für 2006 im Bereich
der sogenannten "Weiße Kragen"-Kriminalität
geschlossen werden, dass das tatsächliche Problem deutlich größer als Null ist. So werden statistisch in Deutschland von je
226 000 Personen 265 zu Wirtschaftskriminellen und 2630 zu Betrügern, und zwar jährlich, und das, obwohl es in diesem Bereich
durchaus abschreckende Strafen gibt im Gegensatz zur Abgeordnetenbestechung/bestechlichkeit, die praktisch straffrei gestellt ist.
Laxer §108 e StGB verhindert Beitritt zur UNCAC
Eine Verschärfung des § 108 e StGB ist also dringend
geboten und laut Christian Humborg von Transparency Deutschland auch Voraussetzung für die Ratifizierung der UN-Konvention gegen
Korruption durch Deutschland. Zwar habe Deutschland am 9. Dezember 2003 durch Unterzeichnung dieser Konvention seinen Willen
bekundet, die Konvention umzusetzen, dazu müsse allerdings nationales Recht geändert werden, da diese Konvention die Bestechung
von Abgeordneten in einem Maße unter Strafe stellt, wie es das deutsche Recht bisher nur für Beamte und öffentliche Angestellte kennt.
Die Konvention sei bisher von 75 Staaten ratifiziert worden, darunter China, Polen, Russland, Südafrika, Großbritannien und die USA.
Deutschland sei aufgrund des laxen 108 e eines der letzten großen Länder, die diese Konvention nicht ratifizieren können.
Abfallwirtschaft und politische Korruption
"Man wird es nie verhindern können, dass Menschen Banken
überfallen oder sich bestechen lassen", so Dr. Wegener (FWG).
"Wenn derartiges Verhalten allerdings praktisch straffrei gestellt wird, dann liegt etwas wirklich im Argen". Er selbst sei im Rahmen
seiner Beschäftigung mit abfallwirtschaftlichen Fragen im Kreistag auf den § 108 e StGB gestoßen, er habe sich nämlich immer
gewundert, dass 1993 durch Inkrafttreten der Technischen Anleitung Siedlungsabfall bei lediglich marginalem Gewinn für die Umwelt
und extrem hohen Kosten für die Abfallgebührenzahler (Stilllegung vorhandener Deponien) flächendeckend die Einführung von
teuren Müllverbrennungsanlagen vorgeschrieben wurde und sich gefragt, wem das denn nutze. Als er dann im Juni 2000 an einem
abfallwirtschaftlichen Symposium der Deutschen Bank in Braunschweig teilnahm, teilte der damalige Regierungspräsident (RP) mit, dass
Müllverbrennungsanlagen ganz korrekt europaweit ausgeschrieben werden müssten, und der wirtschaftlichste Anbieter dann auch zum Zuge
komme; dabei spiele es keine Rolle, ob der aus Großbritannien, Deutschland oder Palermo komme. Bei dem Wort Palermo schmunzelte
die anwesende Fachebene hörbar, worauf der RP nach kurzem Stutzen mitteilte, "so" habe er das nicht gemeint. "Seitdem", so
Dr. Wegener, "beschäftigt mich der § 108 e StGB".
31. 5. 2007
Bundesjustizministerium kündigt Gesetzentwurf an
Ein Gesetzentwurf der
Bundesjustizministerin Brigitte Zypris zur schärferen Bestrafung von Korruption wurde auf der gestrigen Sitzung des Kabinetts gebilligt.
Unter dem Eindruck der Siemensaffäre soll insbesondere die internationale Korruption besser bekämpft werden. Danach soll zukünftig u. a.
die Bestechung und Bestechlichkeit von Deutschen ohne Ausnahme auch dann nach deutschem Recht
bestraft werden, wenn die Tat im Ausland begangen wurde; eine weitere Verschärfung betraf Schmiergeldzahlungen von Unternehmen. Das
berichtet heute die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nach Ministeriumsangaben (so die F.A.Z.) wurde in diesem Zusammenhang auch eine
Erweiterung des Strafbestandes der Abgeordnetenbestechung angekündigt, ein Gesetzentwurf dazu solle "bald" von "den"
Bundestagsfraktionen vorgelegt werden.
"Diesen Gesetzentwurf zur Erweiterung des § 108 e hätte ich natürlich gern so bald als möglich
zur Lektüre", so Dr. Wegener (FWG). "Warum die seit Jahren anstehende Änderung des 108 e nicht ins Gesetzgebungsverfahren gegeben
wurde, während es hier bei der internationalen Korruption offenbar aus aktuellem Anlass doch recht zügig ging, erschließt sich mir allerdings
nicht unmittelbar".
Eine Sprecherin des Neuruppiner Landgerichts teilte heute mit, dass die Verurteilung des Neuruppiner Stadtverordneten
wegen des Vorwurfs der Abgeordnetenbestechlichkeit nach § 108 e StGB nun rechtskräftig sei - der Bundesgerichtshof habe
die Revision des 66-jährigen verworfen. "Nach unserer Erkenntnis ist es das erste Mal bundesweit, dass ein Angeklagter aufgrund dieses
Paragraphen rechtskräftig verurteilt wurde", sagte die Sprecherin des Gerichts der dpa.
Da der Stadtverordnete neben der zur Bewährung ausgesetzten neunmonatigen Freiheitsstrafe auch mit dem Verlust des passiven Wahlrechts
für drei Jahre bestraft wurde, muss er jetzt sein Abgeordnetenmandat abgeben.
Aus der Begründung des
Urteils des
LG Neuruppin geht hervor, dass das dem Abgeordneten gegebene Darlehen zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung
gem. Darlehensvertrag zwar schon hätte getilgt sein müssen, tatsächlich seien jedoch keinerlei Zins- oder
Tilgungsleistungen erfolgt; der Abgeordnete sei deswegen zivilrechtlich auch nicht in Anspruch genommen worden.
Man könne das Darlehen sogar als unentgeltliche Zuwendung ansehen. Wenn dies so sei, so Dr. Wegener, und dafür spreche
alles, so verbleibe dieser Vermögensvorteil offenbar beim rechtskräftig verurteilten Abgeordneten.
4. 11. 2008
CDU-Fraktion verweigert sich Änderung des § 108 e StGB
Dr. Wegener hatte am 25. 8. 2008 auf abgeordnetenwatch.de an Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) eine
Frage zum Sachstand der Änderung des § 108 e StGB gestellt und dabei seine Sorge ausgedrückt, dass Deutschland sich auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung zunehmend isoliere.
Dr. Priesmeier, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Goslar - Northeim - Osterode, hat diese Frage nun beantwortet.
Danach ist das eigentliche Hindernis auf dem Weg zu einer angemessenen und internationalen Standards entsprechenden
Bestrafung der Abgeordnetenbestechung offenbar die CDU-Bundestagsfraktion. Dr.Priesmeier geht in einer sehr detaillierten und ausführlichen
Antwort auch auf die Historie mit interessanten Details ein.
10. 12. 2008
Strafverfolgung und Korruption 2008
Gestern fand im Gebäude der Friedrich-Ebert
Stiftung in Berlin-Tiergarten eine Tagung zu "Strategien der
Korruptionsbekämpfung für Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden" statt. Aus einem Bericht von compliance.de geht hervor, dass
die "Rekordteilnehmerzahl" von 40 Staatsanwälten aus 11 Bundesländern die wachsende Zahl von Fachstaatsanwaltschaften widerspiegele. In
acht Bundesländern gebe es Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Korruption, vor zehn Jahren seien dies erst zwei gewesen.
TI wies u. a. darauf
hin, dass Deutschland weiterhin die Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption "verschleppe", die mittlerweile von 129 Ländern ratifiziert
worden sei. Am 8. - 12. Juni 2009 stehe der Besuch eines Expertenteams von GRECO
bevor, welches die Einhaltung internationaler Standards durch Deutschland überprüfen werde. Sylvia Schenk (TI): "Das wird eine internationale
Blamage ersten Ranges, wenn wir dann immer noch ohne die strafrechtlichen Regelungen dastehen". Ein
Bericht über den GRECO-Besuch im Juni wird im Übrigen für Ende 2009/Anfang 2010 erwartet, Dr. Wegener wird dann hier darüber berichten.
20. 4. 2009
Rechtsgutachten der Bundestagsverwaltung
Der Spiegel berichtete in der Ausgabe 51/2008 ("Dankeschön erlaubt") über ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen
Bundestages zum Thema Abgeordnetenbestechung.
Dieses Gutachten zum Thema "Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenbestechung" komme zu dem Ergebnis,
die "Erweiterung und Verschärfung der Rechtslage sei dringend
geboten". Die Ausarbeitung sei nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Möglicherweise, so Dr. Wegener (FWG),
liege dies daran, dass dieses Gutachten vom 9. September 2008 durch eine rechtliche Analyse insbesondere auch
der international üblichen Gepflogenheiten zu eindeutigen Handlungsempfehlungen komme, die von Teilen der Politik
als unerwünscht empfunden werde. "Mitglieder der Regierungsfraktionen weigern sich, die Bestechung von
Abgeordneten wirksam unter Strafe zu stellen", so der Spiegel.
Nachdem nun allerdings eh wesentliche Aussagen
des Gutachtens in der Printpresse gestanden haben, spreche ja wohl nichts
mehr dagegen, das Gutachten nunmehr ins Internet zu stellen, u. a. um es hier verlinken zu können, so Dr. Wegener
in einer Mail an die zuständigen Stellen. Unabhängig davon gehe er davon aus, dass man es zur privaten Nutzung
erhalten werde (Ansprechpartner in der Bundestagsverwaltung z. B. Abteilung Presse und Kommunikation (PuK),
Mail an PuK). (Anmerkung vom 2. 10. 2012: netzpolitik.org hat
das Gutachten gestern hier veröffentlicht.)
"Gerade in Zeiten, in denen "Fantastillionen" (so die F.A.Z.) an Steuermitteln so schnell wie möglich
verausgabt werden sollen, um die Konjunktur zu stützen, stellt der derzeit geltende §108 e mit
Sicherheit die falsche Botschaft dar", so Dr. Wegener.
10. 12. 2009
Harte Kritik des Europarates an deutschen Regeln zur Abgeordnetenbestechung
Der lang erwartete Bericht der beim Europarat angesiedelten
GRECO wurde
gestern veröffentlicht, nachdem die Bundesregierung der Veröffentlichung zugestimmt hatte. Greco
beschäftigt sich mit den Regeln zur Bekämpfung von
Korruption in den Mitgliedsstaaten.
In dem Bericht wird harte Kritik an Deutschland geübt. So heißt es in einer
Pressemitteilung vom gestrigen Tag (in der sich auch Links zum vollständigen Report finden), dass es insbesonders
besorgniserregend sei, dass bestimmte Kategorien von Personen nur eingeschränkt Antikorruptionsregeln unterworfen
seien. Dies könne bei einer größeren Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass Teile der deutschen Gesellschaft
nicht denselben Regeln unterworfen seien wie der Rest der Bevölkerung, soweit es um die Aufrechterhaltung der
Redlichkeit ("integrity") in gesellschaftlichen, politischen und geschäftlichen Beziehungen geht.
Diesen deutlichen Worten ist nichts hinzuzufügen.
Greco drängt Deutschland, die rechtlichen Vorkehrungen
des §108 StGB hinsichtlich der Bestrafung aktiver
und passiver Bestechung von Abgeordneten deutlich auszuweiten und sie in Einklang mit Art. 4 des
Strafrechtsübereinkommen über
Korruption (Criminal Law Convention on Corruption, ETS 173) vom 27. 1. 1999 zu bringen. Deutschland als
einer der Erstunterzeichnerstaaten hat dieses Übereinkommen bis heute nicht ratifiziert, dessen Art. 4
die Gleichbehandlung der Mitglieder öffentlich-rechtlicher Vertretungskörperschaften mit Amtsträgern
(Beamte, Bedienstete im öffentlichen Dienst, Bürgermeister, Minister, Richter) hinsichtlich Bestechung/Bestechlichkeit vorsieht. Danach sollen folgende (Bestechlichkeits)Handlungen strafbar sein, falls sie vorsätzlich begangen werden: "das unmittelbare oder
mittelbare Fordern oder Annehmen eines
ungerechtfertigten Vorteils oder das Annehmen des Angebotes oder Versprechens eines solchen Vorteils für ihn
selbst oder einen Dritten als Gegenleistung dafür, Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen". Analoge Regeln
gelten für Tatbestände der Bestechung.
Von den 27 Mitgliedsstaaten der EU haben bis auf Österreich, Italien,
Spanien und eben Deutschland das Übereinkommen in nationales Recht umgesetzt und ratifiziert, von den
45 Mitgliedern des Europarates haben bis auf 6 Staaten alle ratifiziert
(Aktueller Stand).
Deutschland ist also eines von ganz wenigen Europarats- bzw. EU-Mitgliedern, dessen zu laxen Antikorruptionsregeln eine Ratifizierung
nicht zulassen.
22. 1. 2010
Parteispenden
Greco beschäftigt sich ebenfalls mit der Transparenz der
Parteifinanzierung (Theme 2). Auch wenn dies im engeren Sinn nicht zum Thema dieser Seite gehört, möchte ich
doch aus aktuellem Anlass zwei Anmerkungen machen.
Im Zusammenhang mit einer Millionenspende einer Hotelkette an die FDP im Umfeld
einer Milliardenerleichterung für die deutsche Hotellerie (Absenkung der Umsatzsteuer für Übernachtungen) wies
die F.A.Z. kürzlich darauf hin, dass nach deutschem Parteigesetz Spenden dann nicht
angenommen werden dürfen, wenn sie "erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen
oder politischen Vorteils gewährt" werden sollen. So hart die Vorschrift klinge, so die F.A.Z., so weich sei sie in
ihrer Wirkung. Der Gesetzgeber habe mit dem Wort "erkennbar" ein Wort zu viel eingebaut. Was sei denn, wenn z. B. der
Schatzmeister einer Partei die Absicht nicht erkannt habe, sei die Spende dann legal?
An das Erkenntnisvermögen
ehrenamtlicher Parteifunktionäre seien jedenfalls andere Maßstäbe anzulegen als an das von Profis, so
die SPD-Schatzmeisterin im Wuppertaler Spendenskandal 2004 - sie warf dem Bundestagspräsidenten angesichts einer
Strafzahlung in Höhe des Dreifachen der Spende diesbezüglich "fehlerhafte Annahmen" vor.
Und last but not least
erinnere ich mich, als Bundeskanzler Kohl Millionenspenden an die CDU weiterleitete und
sich aufgrund eines "Ehrenwortes" weigerte, die Spender bekanntzugeben. Zu seiner Verteidigung teilte er einer
erstaunten Öffentlichkeit mit, dies sei schließlich nicht strafbar.
14. 5. 2010
Internationale Abkommen gegen Korruption - Stand der Ratifizierung
Eingehend auf einen Artikel von Günter Bannas (Leiter der politischen
F.A.Z.-Redaktion in Berlin) zur Praxis der Parteien,
ihre Parteitage durch Wirtschaft und Industrie sponsern zu lassen, stelle ich in einem am 6. Mai in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Leserbrief u. a. den aktuellen
Stand der Ratifizierung des UN-Abkommens gegen Korruption (UNCAC) dar.
1. Juni 2010
Deutsche Version des Greco-Reports
Die
Liste
der GRECO-Reports enthält mittlerweile auch die von der Bundesrepublik Deutschland angefertigte deutsche
Version des Reports zur Parteienfinanzierung (Thema 2). Die Übersetzung des für diese Seite interessanteren
Themas 1 zu den Tatbestandsmerkmalen ("incriminations") von Korruption steht noch aus. (Anmerkung vom 4. August 2010: Mittlerweile
liegt die deutsche Übersetzung auch des Themas 1 vor).
10. August 2012
Industrie befürchtet Image-Verlust
Die Chefs der meisten deutschen Dax-Konzerne, darunter Allianz, Bayer, Daimler, Deutsche Bank, Deutsche Telekom,
Eon, Linde, Lufthansa, Metro und RWE, haben an den deutschen Bundestag appelliert, endlich UNCAC zu
ratifizieren. "Integre Abgeordnete brauchen sich vor schärferen Regeln nicht zu fürchten", heißt es laut dpa in
einem an alle Fraktionsvorsitzenden gerichteten Schreiben.
Da diese Schwergewichte es in der Hand haben,
durch Einstellung ihrer Parteispenden bzw. Sponsoring von Parteitagen ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen,
könnte nun Bewegung in die Angelegenheit kommen.
6. Februar 2014
Korruptionsbekämpfungsbericht der EU-Kommission
Am 3. Februar legte die EU-Kommission ihren ersten Anti-Korruptionsbericht vor. Darin wird u. a. harsche Kritik an den Regeln zur Bekämpfung
politischer Korruption geübt. Deutschland isoliert sich hinsichtlich der Ratifizierung internationaler Abkommen zur Korruptionsbekämpfung immer mehr.
Auch eine jetzt von der GroKo beabsichtigte Neuregelung des § 108 e StGB wird daran wohl nichts ändern. Offenbar (?) wird Art. 38 GG - das freie
Mandat - von den Politikern so interpretiert, als ob man auch frei sei, von Lobbyisten Geld, Sachleistungen, Spenden u. ä. in beliebiger Höhe
anzunehmen. Meine Analyse zeigt
erheblichen Nachbesserungsbedarf im Vergleich zu den anderen 27 Staaten der EU auf.
21. Februar 2014
Bundestag beschließt bei drei Gegenstimmen Neuregelung des § 108 e StGB
Der heute fast einstimmig beschlossene § 108e (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) sieht vor, dass
"wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten
Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt,
dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung
vornehme oder unterlasse", mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Erfasst sind u. a. auch
Mitglieder einer Volksvertretung einer kommunalen Gebietskörperschaft.
Definiert wird in Abs. 4, was kein ungerechtfertigter
Vorteil ist, nämlich u. a. "eine nach dem Parteiengesetz oder entsprechenden Gesetzen zulässige Spende." (Neugefasster Text des § 108 e StGB.)
Ob dies reicht, um UNCAC bzw. das Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption des Europarates ratifizieren zu können, bleibt abzuwarten. Bewiesen werden
müsste, dass die Annahme eines ungerechtfertigten Vorteils "im Auftrag und auf Weisung" erfolgte: Da wird wohl ein Richter zu Recht (wie schon bei der alten Regelung)
mal was Schriftliches sehen wollen. Und "zulässige" Spenden in unbeschränkter Höhe sollen eh keinen
ungerechtfertigten Vorteil darstellen. Auch werden, so der brandenburgische Justizminister Markov, "durch die zukunftsbezogene Formulierung im Gesetzentwurf „vornehme oder unterlasse“ nachträglich gewährte Vorteile,
also sogenannte Dankeschön-Spenden, nicht vom Straftatbestand erfasst und damit strafwürdige Verhaltensweisen von Mandatsträgerinnen/Mandatsträgern außer Acht gelassen." (Protokollerklärung in der 920. Sitzung des Bundesrates, s. u.)
Ich interpretiere dies so, dass man eine Placebo-Gesetzgebung durch eine andere ersetzt hat. Es wird sich jedenfalls zeigen, wieviele
Verurteilungen es nach diesem Gesetz geben wird. Ich tippe mal auf Null.
Update vom 25. Februar: Das Land Brandenburg wird in dieser Angelegenheit im Rechtsausschuss des Bundesrats beantragen, den Vermittlungsausschuss anrufen.
Dies teile der dortige Justizminister Dr. Helmuth Markov in einer Pressemitteilung mit. Es handele sich bei der Änderung des 108 e StGB um "reine Symbolpolitik".
Update vom 15. März: Auf der gestrigen 920. Sitzung des Bundesrates wurde beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Das Gesetz wird nun dem Bundespräsidenten zugeleitet.
Nach Unterzeichnung tritt es allerdings erst zum 1. September 2014 in Kraft, "um die Umstellung auf die neue Rechtslage zu erleichtern", so die Bundesratsdrucksache 64/14.
7. Oktober 2014
Aktueller Stand der Ratizierung
Den aktuellen Stand der Ratifizierung des UN-Abkommens gegen Korruption (UNCAC) finden Sie im Anschluss an einen am 6. Mai 2010
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Leserbrief. Dieser stellt den damals aktuellen Status und den weiteren zeitlichen Ablauf des Ratifizierungsprozesses dar.
26. November 2014
Ratifizierung
Am 12. November hat Deutschland UNCAC ratifiziert. Offensichtlich finden bei der UN keine Kontrollen statt, ob die zugrundeliegenden Gesetze überhaupt wirksam sind?
Juli 2022
BGH urteilt zur Wirksamkeit des § 108e StGB (Maskenaffäre)
Die Wirksamkeit des geänderten § 108e StGB hat sich als höchst fraglich erwiesen. Im Zuge der sogenannten Maskenaffäre, bei der einige Unionsabgeordnete hohe Provisionszahlungen im Zuge der Vermittlung von Coronaschutzmasken erhalten
hatten, fand nun nach Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft letztinstanzlich eine rechtliche Würdigung statt: Der BGH urteilte im Juli 2022 erwartungsgemäß, dass sich die Abgeordneten in der sog. Maskenaffäre nicht strafbar
gemacht hätten. (BGH mahnt Verschärfung des
108e StGB an ; Beschluss vom 5. Juli 2022).
Diese Rechtsprechung war von
mir auch nicht anders erwartet worden. Neu ist allenfalls, dass diese Verschärfung nun nicht mehr nur von der Opposition gefordert wird (reine Lippenbekenntnisse, da zahnlos) sondern auch von Vertretern der Regierungsfraktionen,
insbesondere von Grünen und der SPD.
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