Von Dr. Wolfgang Wegener, Webmaster FWG Osterode am Harz
Am 2. November 2000 berichtete die Lokalzeitung in einem 320 Quadratzentimeter
großen Bildbericht: "Großer Internet-Auftritt der Freien Wähler" mit dem Untertitel: "FWG ist
"im Netz" - Das Konzept: Ausführlichkeit und
gezielte Besucherlenkung". Die FWG verkünde "mit einigem Stolz", dass man seit
Samstag, den 21. Oktober, 20 Uhr, im Netz sei.
Mit etwa 80 Schreibmaschinen-Seiten als Startausgabe waren wir
damals nicht nur die mit Abstand Größten in der Osteroder Internetlandschaft, sondern auch
die mit Abstand Ersten unter unseren Mitbewerbern. Es war in Osterode fast der Beginn des Internets, lediglich
die Stadt Osterode und die Seite der Ortschaft Schwiegershausen waren damals schon
im Netz. Und als unsere Mitbewerber Jahre später auch ins Netz gingen (besser wohl: gehen mussten), war das
längst so normal, dass es der Lokalzeitung keiner großen Erwähnung mehr wert war.
Erwartungen und Hoffnungen
Im internen Einladungsschreiben für die Internet Task Force der Freien Wähler
vom Juli 2000 hieß es: "Wir werden nach Jahrzehnten wieder mit nur einer
Zeitung in den Wahlkampf 2001 ziehen. Das Internet bietet insbesondere für
kleine, regionale Gruppierungen erhebliche Möglichkeiten: Wir können uns
unzensiert, ausführlich und zeitnah äußern. Das Internet bietet gerade für
regional aktive Gruppen wie Wählergemeinschaften die Möglichkeit, bundesweit zu
publizieren"
Tageszeitung Paroli bieten
Auch wenn von Anfang an klar war, dass die Website nur eine
Ergänzung zur tagesaktuellen Lokalzeitung sein konnte: Unsere Version der Dinge
wollten wir schon "unters Volk" bringen. Die Seite wurde in den ersten Monaten
auch nicht in Suchmaschinen eingetragen, um halbwegs sicherzustellen, dass die
Besucher aus Osterode kamen. Und die Intention zu Beginn war schon, der Lokalzeitung
Paroli zu bieten: Welche politische Gruppierung ist schon rundum zufrieden mit dem Umfang
und Inhalt der Berichterstattung der Zeitung, soweit es sie selbst angeht? Großen Raum nahmen zu Beginn auch
interne Belange unserer kleinen Wählergemeinschaft in unserem kleinen Landkreis (ca. 80
000 Einwohner) ein, reich mit Bildern unserer Mitglieder versehen.
Wer ist das Zielpublikum?
Wäre es dabei geblieben, so hätten wir
unser Besucherpotential wahrscheinlich schnell ausgeschöpft, das Wachstum wäre
lediglich durch die zunehmende Vernetzung der Gesellschaft zustande gekommen.
Verfügten im Jahr 2000 28 Prozent der deutschen Haushalte über einen Internetanschluss (F.A.Z. vom 22. 8. 2000),
sind es heute laut Stat. Bundesamt 73 Prozent.
(Anmerkung: Da die Seite werbefrei ist, müssen wir die Besucherzahlen nicht bekannt geben und tun dies
auch nicht). Allerdings stellte sich zunehmend insbesondere über die
Suchanfragen heraus, wer auch unser Zielpublikum ist. Wer fragt schon nach
Aktenzeichen von Gerichtsurteilen, nach einzelnen Paragraphen in
Gesetzestexten, wer fragt schon nach der Gemeindehaushaltsverordnung und kürzt
diese dann auch noch als GemHV ab? Auch die am Wochenende und in der Woche außerhalb der üblichen
Arbeitszeiten deutlich zurückgehende Zahl von Besuchern deutet darauf hin, dass es Profis in Verwaltungen,
Medien und Politik sind. Da uns die Adressen der Besucher aus Datenschutzgründen nur anonymisiert zur Verfügung
gestellt werden, ist dies allerdings letztlich Spekulation.
Wachstumspotentiale - Die Besetzung einer Nische
Damit wurde immer klarer, wo weiteres Wachstum herkommen
könnte und wo unsere Nische ist: Insbesondere überregional bedeutsame Medien beschäftigen sich
hauptsächlich mit Bundespolitik, wesentlich weniger mit Landespolitik und
kaum mit Kommunalpolitik. Dabei betreffen kommunalpolitische
Entscheidungen die unmittelbar erlebbare Lebenswirklichkeit der Menschen am meisten.
Warum nicht in unseren Berichten aus der Praxis der Osteroder Kommunalpolitik
den allgemeinen Bezug im Auge behalten, und warum nicht sehr ausführlich und
detailliert berichten? Dann hätten wir nicht nur 80 000, sondern 80 Millionen potentielle Leser.
Heute
steht die Website nicht einmal mehr im Ansatz in
Konkurrenz zur lokalen Tageszeitung. Aus zahlreichen Gesprächen in Osterode
wissen wir, dass sich viele Menschen fragen, wer diese detaillierten Texte (ein
Journalist der Holzpresse würde dies wohl als Bleiwüste bezeichnen) wohl lesen will. Abgesehen davon, dass es
selbstverständlich in Osterode Menschen gibt, die aussagefähige Texte goutieren (die Fragenden geben sich ja
selbst als Leser zu erkennen), verkennt diese
Frage zwei wesentliche Unterschiede zwischen Holzpresse und Netz: Wer einen unserer Texte
findet, hat in der Regel über die Formulierung einer Frage bereits gezeigt,
dass er an dem Thema interessiert ist. Und der ist dann in der Tat auch bereit, bis zu
vier oder fünf Schreibmaschinenseiten zu lesen, vorausgesetzt, da stecken genug
Fakten und Substanz drin. Auch ist es oft möglich, über Links die Quellen bzw. weiterführende
Informationen mit einem Klick zugänglich zu machen.
Unser Vorteil: Über Mails und Telefonate erreichen
uns Rückmeldungen, die unsere Arbeit vor Ort sehr bereichern, die Vergleiche mit
anderen ermöglichen.
Die Glaubwürdigkeit einer "Partei"seite
Entscheidend für die Bereitschaft, einen Text zu lesen, ist
die Glaubwürdigkeit des Autors. Und da
hat die Seite einer politischen Gruppierung natürlich ein Problem, sie ist ja
parteiisch. Wir bemühen uns daher, möglichst faktenreich zu schreiben. Wir
wollen keine Meinung "machen", der Leser soll sich selbst eine Meinung bilden.
Im Vergleich zu einer Zeitung haben wir allerdings einen großen Vorteil: Wir
müssen vielfach nicht recherchieren, wir kennen die Fakten ja als politische
Akteure mit Zugang zu öffentlichen und nichtöffentlichen Informationen, mit
Fragerecht und Zugang zur Verwaltung. Wir wissen nicht nur, was in der Zeitung
steht, wir wissen auch, was da nicht steht. Und wenn wir z. B. in
Wahlkampfzeiten den Meinungsanteil deutlich erhöhen, ist das als Meinung
erkennbar und sicherlich auch legitim.
Die Bilanz einer Erfolgsgeschichte
Einer der Gründe für den Erfolg unserer Seite liegt sicherlich in der zunehmenden Nutzung des
Internets in den letzten zehn Jahren. Um sich 2000 "über ein Thema näher zu informieren", nutzten 58 Prozent
der 14 bis 64-Jährigen die Zeitung, und 16 Prozent das Internet. Heute sind dies bei der
Zeitung nur noch 45 Prozent, im Internet suchen dagegen 71 Prozent (bei Jugendlichen zwischen 20 und 29
Jahren sind es sogar 82 Prozent. Damit ist das Internet heute mit einigem Abstand vor Fernsehen (60 Prozent),
Zeitung (45 Prozent), Zeitschriften (37 Prozent) und Radio (28 Prozent) das Leitmedium
(Quelle: Das Internet auf dem Weg zum Leitmedium
(FAZnet vom 19. 10. 2010); die Quelle enthält zahlreiche weitere Links, u. a. auch auf die aktuelle
ACTA-Publikation zur Mediennutzung).
Den lokalen Bezug (natürlich sind wir auch an Mitstreitern und Wählern interessiert) versuchen wir über
unseren Newsletter herzustellen, der auf Aktualisierungen der Website hinweist. Aus den entsprechenden
Anmeldungen wissen wir, dass diese Menschen an Politik im Landkreis Osterode und auch an unserer Arbeit
interessiert sind. Das erscheint auch logisch, denn wer z. B. in Salzburg will schon wirklich kontinuierlich
über die Osteroder Politik informiert werden? Neu von uns ins Netz gestellte Dokumente sind zu Anfang noch
nicht zu googeln, ihr Aufruf erfolgt in der Regel durch Nutzen des Newsletters, in dem auf das neue Dokument
verlinkt ist; diese Abrufe erfolgen in der Regel
innerhalb eines Tages. Soweit es sich um Pressemitteilungen handelt, sind diese in der Regel nach einigen Tagen
auch in der Lokalzeitung lesen. Diese Vorabinformation stellt für Bezieher unseres Newsletters sicherlich ein
Bonbon dar.
Wir legen großen Wert auf die Sicherheit. Bisher erfolgreich. So wird die
Seite mehrmals täglich von Google besucht, dabei findet automatisch ein Check auf sog. Malware statt. Eine
Warnung hat es noch nie gegeben. Wir unternehmen keinerlei Anstrengungen, etwas über das Nutzerverhalten in
Erfahrung zu bringen (z. B. verfügt die Seite nicht über Cookies). Ein Gästebuch bzw. Diskussionsforum ("Web 2.0") und damit die
Möglichkeit, von Außen Inhalte zu hinterlegen, gibt es aus Sicherheitsgründen nicht. Allerdings ist es möglich,
Leserbriefe und Kommentare zu schreiben. In der Regel handelt es sich dabei um Mitteilungen bzw. Rückfragen.
Wenn wir der Ansicht sind, dass diese Informationen enthalten, die für viele Leser relevant sind,
bitten wir um das Einverständnis für eine Veröffentlichung.
Fazit und Ausblick
Die FWG Osterode hat in vielfacher Hinsicht sehr von dieser Seite profitiert, wir können dies
anderen Wählergemeinschaften in Deutschland nur empfehlen. Es sind nicht nur die Anregungen, die die eigene
Arbeit vor Ort bereichern, wir nutzen die Seite auch als schnelles Nachschlagewerk, wenn wir
zu bestimmten Themen in kommunalen Gremien Stellung beziehen. Für uns als
politisch interessierte Menschen ist aber auch interessant, welche der
Dokumente gelesen werden (und welche eher nicht), welche Fragen gestellt werden usw.. Allgemein gesagt, lassen sich daraus
Anhaltspunkte für das politische Innenleben dieser Gesellschaft finden.
Ich möchte diese Bilanz daher mit
drei Zitaten beenden. Zwei davon aus einem Artikel in der F.A.Z. vom 27. Oktober 2000 zum Thema
"Elektronische Demokratie". So schwärmte Al Gore Anfang der 90-er Jahre, "mit
dem Netz wird die authentische Demokratie neu geboren". Deutlich
zurückhaltender äußerte sich später im Oktober 2000 der amerikanische
Politikwissenschaftler Benjamin Barber: "Was eine starke Demokratie ausmacht,
ist nicht das Internet, sondern die Qualität der Institutionen eines Staates
und der Charakter seiner Bürger". Und noch zurückhaltender äußerte sich Harald Schmidt
in der Talkshow "Sabine Christiansen": "Das Volk will nicht nur seine Ruhe und keinen Streit.
Das Volk will auch keine Konzepte". Der Spiegel dazu: " Da lachten alle. Und es klang so
befreit, dass fast was dran sein muss" (Spiegel 23/2006, p. 100).
Wie auch immer: Unsere Seite jedenfalls findet mit dem Motto: "Politik für
Stadt und Landkreis - Daten, Fakten, Konzepte" trotzdem ihre Leser.
Anmerkung der Redaktion: Ihre Meinung (Leserbrief) interessiert uns, für
Hinweise sind wir dankbar. Die Druckversion
dieses Artikels enthält weitere Kontaktmöglichkeiten.